UNDER THE SKIN

Jonathan Glazers Film Under the Skin ist ein Versuch, vom Anderen zu erzählen, von physischer und psychischer Dekonstruktion und davon, was unter der Haut verborgen liegt. Protagonistin in Under the Skin ist ein außerirdisches Wesen in ‚Verkleidung’ einer jungen Frau, gespielt von Scarlett Johansson, die Männer in ihre Wohnung lockt, wo diese in einem mysteriösen Fußboden verschwinden. Dabei funktioniert Under the Skin weniger als Story mit klassischem Spannungsbogen, sondern über intensive Bilder und eine dichte Atmosphäre. Das filmästhetische Konzept verhindert einfache Kommensurabilität, was die Fremdheit der Protagonistin in der Welt und ihren prekären Status als Andere unterstreicht. Under the Skin lässt die Zuschauer*in spüren, dass ihre eigene Wahrnehmung von Selbst und Identität eine fragile Konstruktion ist: „The movie’s eerie, climactic image challenges our conventional notions of human identity and leaves us reflecting on the possibility that every being in the universe is an alien in disguise.“ Das außerirdische Geschöpf, das sich ‚under the skin’ befindet und am Schluss ihre Maske betrachtet, steht für uns alle, die wir an der Stabilität einer Identität zweifeln, die sich über willkürliche Merkmale definiert und die wir doch nicht ganz loslassen können. Under the Skin nutzt in seiner Konzeption Unsicherheiten und Verständnisschwierigkeiten als Möglichkeit, eine visuelle wie sprachliche Definition des Anderen offen zu halten.
Der Film beginnt mit einer schwarzen Leinwand, auf der sich ein winziger Lichtpunkt zu einer sphärischen Lichtquelle vergrößert, welche in die abstrakte Konstruktion einer Iris überleitet, die schließlich der Zuschauer*in entgegenblickt. Dieses Auge bildet ein selbstreflexives Moment, da über die Schnittstelle Auge – Kamera – Film – Auge der Zuschauer*in die Position als Betrachter*in thematisiert wird. Im Verlauf bleibt die Ästhetik von Under the Skin über weite Strecken surreal, assoziativ und sinnlich erfahrbar. Die konkrete Ausdruckskraft der Bilder in Under the Skin macht Sprache beinahe obsolet. Regisseur Jonathan Glazer erklärt im Rückgriff auf die Vorstellung einer dem Film inhärenten Magie: "I'm still obsessed by images. Not intellectually. Practically. How they sing, how they sync.“

ERZÄHLEN ALS ERFAHRUNG

Under the Skin ist nicht auf einfaches Verständnis ausgelegt, sondern spielt mit intuitiven, unbewussten Vorgängen der Bedeutungskonstitution. Deshalb fehlt dem Film ein kausaler Handlungsablauf. Erklärungen, die dem seltsamen Geschehen einen Sinn geben, bleiben aus. „The story is so stripped down that at a certain point its lack of clarity will frustrate viewers wanting more information.“ Die Figuren des Films bleiben unscharf und schematisch – sie spielen ihre Rolle, solange diese gebraucht wird, dann verschwinden sie so plötzlich wie sie in den Blickwinkel der Protagonistin geraten. Die Filmbilder entsprechen den Erfahrungen der Hauptfigur. „I wanted to keep going until we were going to make something that in itself was a kind of experience that matched the perspective of the character.“ Diese enge Perspektive steht in Kontrast zu einer extrem reduzierten emotionalen Zugänglichkeit der Hauptfigur.
Under the Skin liefert keine eindeutigen Erklärungen, es wird kaum kausale Geschichte erzählt. Bedeutungskonstitution vollzieht sich im Subtext und auf der Metaebene der ebenfalls nicht einfach zu deutenden Bilder. Das bedeutet jedoch nicht, dass Under the Skin eine gänzlich neue Filmsprache entwickelt. Zwar ist der Film in seiner Handlung verwirrend, die Bilder jedoch bedienen sich an Gesten, die durchaus bekannt sind und lediglich in ein ungewöhnliches Setting versetzt werden. Zudem wirken einige Szenen fast dokumentarisch, was dem improvisierten Vorgehen beim Dreh geschuldet ist. Für das dekonstruktive Moment ist durchaus typisch, dass es sich durch feststehende Codes verständlich machen muss, gerade um anhand von Paradoxien und Leerstellen Flexibilität einzubauen. „Die Dekonstruktion hat notwendigerweise von innen her zu operieren, sich aller subversiven, strategischen und ökonomischen Mittel der alten Struktur zu bedienen [...]“ (Derrida 1983: 45) und damit Sinn und Wahrheit anhand der sie scheinbar tragenden Elemente zu hinterfragen.

FREMDE FRAU

Die weibliche Hauptfigur ist namenlos. Damit ist ihr bereits ein zwar arbiträres, aber dennoch konstitutives Identitätsmerkmal der Zivilisation verwehrt. Besonders auffällig und damit für die Wahrnehmung der Figur bedeutsam erscheint diese Leerstelle, da es ihre Geschichte ist, die erzählt wird. Zunächst einmal wird durch die Namenlosigkeit die Andersartigkeit der Figur unterstrichen und sie ihrer Umwelt entfremdet. Zwar folgt der Film den Geschehnissen um die Protagonistin, doch die Zuschauer*in sieht die Ereignisse durch die Augen einer Figur, der die Welt unvertraut ist. Sofern sie sich mit niemandem unterhält, ist ihre Mimik starr, konzentriert und deutet wenig innere Regung an. Verstärkt wird dieser Eindruck durch die ätherische Schönheit der Hauptdarstellerin, die mit Begriffen der feministischen Filmtheorie Laura Mulveys als objektivierend und fetischisierend bezeichnet werden kann. Scarlett Johansson ist in vielen Szenen im Stil der Filmikonen des klassischen Hollywoods inszeniert. Der selbstreflexive Twist liegt in Under the Skin darin, dass ihr Status als Objekt und Projektionsfläche des männlichen Blicks im Film immer wieder unterbrochen wird, in Widersprüche verstrickt bleibt und bewusst paradox inszeniert ist. Als Außerirdische in Verkleidung steht die Protagonistin für eine ganz materielle Differenz zwischen Oberfläche und innerlichem Status. Das Fehlen von Reflexion, Gefühläußerungen und Kenntnis gesellschaftlich verhandelter Moral stellt die Hauptfigur als das Andere der Kultur dar. Diese Position ist einsam und befindet sich in einem diskursiv nicht zugänglichen Bereich. Daraus lässt sich die Sprachlosigkeit und die Leere der Protagonistin erklären. An ihr wird die psychoanalytische Determination der Frau als das Andere des Mannes exemplarisch verdeutlicht und gleichzeitig hinterfragt, da ihre Identität mehrere Ebenen hat, nämlich ihre menschliche Rolle und das unter dieser künstlichen Haut liegende Wesen. Diese doppelte Andersartigkeit kann als Metapher auf eine heterogene Identität gelesen werden, die sich nicht in ein stabiles Selbst zusammenfasen lässt.

LEERE KOMMUNIKATION

Gespräche zwischen der Protagonistin und ihren Begleitern folgen stets einem ähnlichen Muster. Spätestens sobald das unumgängliche Ende dieser Begegnungen in der Wohnung sich herausstellt, wird die artifizielle Art der Kommunikation im Auto deutlich. Die Figur spielt eingeübte Rollen durch und stellt immer wieder dieselben routinierten Fragen, auf die sie selbst jedoch ausweichend antwortet. Umso deutlicher wird einerseits, dass sie nicht erzählen kann, wer sie wirklich ist, und andererseits, dass ihre Strategie nur soweit reicht, der Situation angemessene Erkundigungen anzustellen. Sie selbst hat sich keine Geschichte zurechtgelegt, wie man es von jemandem erwarten würde, der seine Identität verschleiern möchte und deshalb schlichtweg lügt und eine alternative Lebensgeschichte erfindet.Der Hauptfigur kommt es also offensichtlich gar nicht in den Sinn, eine Biografie zu haben. Ein Grund dafür ist, dass sie sich in der Welt, in der sie sich nun aufhält, nicht gut auskennt und daher Nachfragen hinsichtlich einer imaginären Identität schnell zum Problem werden könnten. Hauptsächlich scheint sie jedoch gar nicht den Wunsch zu haben, sich durch eine bestimmte Biografie, einen Beruf oder Eigenschaften hervorzutun. Es wäre angesichts ihrer Aufgabe auch unnötig, Interesse an ihrer Person jenseits körperlicher Schönheit zu wecken. Die Identitätslosigkeit im Gespräch ist der Rolle der Protagonistin als Projektionsfläche also gewissermaßen inhärent. Ihre Gedanken und Gefühle bleiben verborgen, ohne dass die Zuschauer*in weiß, ob sie diese überhaupt hat. Die Sprache der Hauptfigur ist auf zwei Ebenen nicht ihre eigene: erstens kommt sie von einem anderen Planeten, zweitens sind ihre Worte offensichtlich Phrasen, die sie gelernt hat, aber nicht verinnerlicht. Die Protagonistin ist etwas anderes als sie selbst, ob von außen oder innen. Inwieweit sie zu menschlichen Emotionen und deren Mitteilung fähig ist, bleibt nicht nachvollziehbar. Interessant ist dieser Aspekt angesichts stereotyper Vorstellungen von Weiblichkeit, die sowohl eine natürliche Neigung zu emotionaler Empathie voraussetzen, andererseits intellektuelles Engagement als Frauen bei der Verrichtung ihrer sozialen Aufgaben Reproduktions- und Sorgearbeit lediglich im Wege stehend ausschließen.

DER BODENLOSE SPIEGEL

Die Szenen im Haus der Protagonistin zeigen allesamt denselben Prozess. Hinter der Tür ihrer Wohnung befindet sich nichts als eine schwarze spiegelnde Oberfläche. Die Protagonistin geht in die Dunkelheit voraus, wobei unklar ist, woher die Lichtquelle kommt, welche die durchschrittenen Teile des Raumes mit Fokus auf den Boden erhellt. Die Beschaffenheit des Ortes zu allen Seiten bis auf den Fußboden bleibt in Dunkelheit verborgen. Auch die Tür ist nicht mehr sichtbar, was die Sequenz trotz der erotischen Spannung beklemmend wirken lässt. Es handelt sich also um keinen definierten Raum, sondern ein schwarzes Loch ohne erkennbare Begrenzung bis auf den spiegelnden Boden. Doch diese Oberfläche ist instabil. Während die Hauptfigur sich verführerisch umblickt und dabei entkleidet, tun es die Männer ihr gleich. Sobald sie nackt sind, beginnen sie in dem glänzenden Untergrund wie in einer Art Sumpf zu versinken. Dies scheint ihnen jedoch nicht bewusst zu werden, ist zumindest nicht mit sichtbarer Panik verbunden. Ihr Blick bleibt stets auf die Protagonistin gerichtet. Diese sammelt ihre Kleider auf, sobald die Männer verschwunden sind, und verlässt die Wohnung über die ihren Körper tragende spiegelnde Oberfläche. Diese Sequenzen sind surrealistisch geprägt und ähneln einer Traumwirklichkeit. Später im Film gibt es eine Sequenz, in der die Männer unter der Spiegeloberfläche gezeigt werden. Obwohl sie am Leben sind, können sie nicht sprechen und sich nur langsam bewegen – es scheint als schwebten sie in einem gravitationsfreien Raum oder einer Art Wassertank. Als einer der Männer versucht, den anderen zu berühren, verschwindet dieser plötzlich. Zurück bleiben seine Haut und sein Haar. Danach wird ein Förderband mit roter fleischähnlicher Masse gezeigt, das in eine rote Linie und ein gleißendes rotes Licht übergeht. An dieser Stelle wird zum ersten und einzigen Mal eine Erklärung für den gezielten Plan der Protagonistin angedeutet, die Männer in ihr Haus zu locken, und ansatzweise ein Einblick in deren weiteres Schicksal oder, anders formuliert, ihre Verwendung geboten.

SPIEGEL ODER SPECULUM

Die französische Philosophin Luce Irigaray formuliert eine Theorie, nach der sich die Subjektivierung des Mannes aus der Spiegelfunktion der Frau speist, solange diese in ihrer Objektposition verharrt: „Treuer Spiegel, blank und frei von entstellenden Reflektionen. Unberührt von Kopien eines eigenen Selbst. Ein Anderer nur deshalb, weil er lediglich im Dienst des Subjekts selbst steht, dem er seine Oberfläche präsentiert, unschuldig und unwissend über sich selbst.“ (Irigaray 1980: 172) Dabei wird der Status des Anderen an eine Unfähigkeit zur Kontrolle über die eigene Identität gekoppelt. Jacques Derrida sieht die Spekulation in ihrer Doppeldeutigkeit als Ursprung der Differenz. Differenz markiert bei Derrida eine Verweiskette, bei Irigaray eine hierarchische Unterscheidung der Geschlechter. Diese ist jedoch grundsätzlich flexibel und funktioniert nur solange, wie der Spiegel sich nicht abwendet und dem Mann seine identifikatorische Basis entzieht. Bildlich dargestellt wird dieses fragile Gebilde in Under the Skin in den Sequenzen, die sich in der Wohnung der Protagonistin abspielen. Der Spiegel erscheint verdoppelt durch die symbolische Spiegelfigur der erotischen, sich entkleidenden Hauptfigur und den spiegelnden Fußboden, der sie reflektiert. Der Mann, der ihr folgt, fühlt sich in seiner Subjektposition bestätigt und stabil, sodass er gar nicht wahrnimmt, dass er in dem Spiegel, der ihm zur Selbstvergewisserung gedient hat, untergeht und alleine darunter oder darin zurückbleibt. Irigaray spricht in Verbindung mit der Fragilität der Subjekt – Objekt – Beziehung ausdrücklich von „[...]einem Boden, auf dem es [das Subjekt, Anm. K. W.] stehen, einen Spiegel, in dem es sich spiegeln kann [...]“ (Irigaray 1980: 170), und während das Subjekt sich noch in Sicherheit wiegt, werden ihm in Under the Skin bildlich der Boden und der Spiegel entzogen. Die Protagonistin unterdessen wird von der spiegelnden Oberfläche getragen, da sie selbst der Spiegel ist. „Das, was am wenigsten Idee ist, das, was, wenn man so will, am ehesten als ‚Ding’ erscheint: die undurchdringliche Materie, wird zu einem Spiegel, der um so reiner von Reflexen ist, je weniger er von sich weiß, und den man daher als Spiegel nicht erkennt. Es sind lediglich die Reflexe des Mannes, die er aufnimmt und die in der um sich selbst drehenden Bewegung des konkaven Spiegels sofort verschluckt werden.“ (Irigaray 1980: 170) Da Irigaray nicht von einem glatten Spiegel, sondern der konkaven Form des Speculum ausgeht, ist die Oberfläche wechselvoll und damit nicht geeignet, die Spiegelung, welche der Mann zur Aufrechterhaltung seiner Subjektposition benötigt, ad infinitum zu leisten. Irgendwann wird seine Reflexion von dem Speculum eingesperrt und er findet sich in einer Gefangenschaft wieder, die den Preis seiner Selbstbespiegelung ausmacht. Das Speculum bietet als gynäkologisches Instrument, welches dem Geschlechtsorgan der Frau nachempfunden ist, auf den ersten Blick ein weiteres Werkzeug zu ihrer Unterdrückung, da es „[...] ins Innere dringen, dort sehen kann, vor allem in spekulativer Absicht.“ (Irigaray 1980: 184, kursiv im Original) Doch was dort zu sehen ist, bleibt Mysterium, egal, wie gut es ausgeleuchtet wird. Für die vielgestaltigen Komponenten des weiblichen Geschlechts gibt es keine einfachen Erklärungen und daraus speist sich eine mannigfaltige Identität. Das Versinken im Spiegel kann mit Irigaray als die erste Bedingung zur Befreiung der Frau oder des Anderen aufgrund der notwendigen Erkenntnis gedeutet werden, dass das Objekt der Spiegelung kein solides Werkzeug zur Erhaltung der Subjektposition ist. Noch weiter geht das Bild der verschwindenden Männer unter der Oberfläche als erstes Anzeichen der „Zersetzung des ‘Subjekts’“ (Irigaray 1980: 171). Mit diesem Terminus ist keine Umkehr der Subjekt-Objekt-Beziehung gemeint, sondern ein tatsächlicher Zerfall des Subjekts als Einheit. Ziel ist also nicht die Erlangung des Subjektstatus, sondern die Definition als gleichwertiges Anderes, als heterogenes Selbst. Die „weißen Stellen des Diskurses“ (Irigaray 1980: 181) bilden die Leerstellen im Film, in dem das Andere einen Platz findet. Dem entspricht Derridas Wendung von einer abgeschlossenen Form des Subjekts zu einer prozessualen Identifizierung „[...] in der Gestalt der Nicht-Gestalt, in der unförmigen, stummen, embryonalen und schreckenerregenden Form der Monstrosität.“ (Derrida 1976: 442) Interessant ist an dieser Stelle, dass die metaphorische monströse Nicht-Gestalt in Under the Skin direkt visualisiert wird, wenn das außerirdische Wesen sich enthüllt.

ICH UND DIE ANDERE

In der Sequenz, die den Wendepunkt der bis dahin redundanten Handlung markiert, nimmt die Protagonistin einen durch eine genetische Erkrankung stark deformierten Mann mit in ihre Wohnung. Gegenüber den anderen Mitfahrern ist er schüchtern und reagiert auf ihre Fragen abweisend und scheu. Da die Protagonistin sein ungewöhnliches Aussehen nicht zu bemerken scheint und ihm Komplimente über seine schönen Hände macht, lässt der Mann sich überreden, die fremde Frau in ihre Wohnung zu begleiten. Zunächst läuft die Szene wie alle vorherigen ab, bis sich plötzlich eine schwarze Gestalt im Raum befindet, die wie ein bedrohlicher Schatten wirkt. Als die Protagonistin aus der Wohnung ins Treppenhaus tritt hängt dort ein Spiegel. Wie zufällig stolpert sie davor und nimmt ihn zum ersten Mal wahr. Sie tritt näher heran und betrachtet ihr Gesicht. Ihrem Blick und ihrer Mimik ist zu entnehmen, dass sich etwas in ihrer Selbstwahrnehmung verändert. Bezogen auf eines der ersten Bilder des Films, das Auge der Hauptfigur, liegt der Fokus hier sowohl auf dem Spiegel als auch dem Auge, das etwas erblickt. Das Auge steht für das Wesen, die Seele, den Geist des Menschen sowie für Erkenntnis. Wesen, Seele, Geist und (Selbst-)Erkenntnis sind Bestandteil dessen, was der Protagonistin bisher fehlt. Ausgerechnet im Zusammenhang mit dem physisch deformierten Mann, der aus äußerlichen Gründen ebenfalls als Anderes wahrgenommen wird, bemerkt sie, was ihr innerlich fehlt. Plötzlich tritt sie mit dem Mann, den sie zuvor in ihre Wohnung gelockt hat, hinaus und fährt in ihrem weißen Van davon, während der nackte Mann einen Hügel hinunterstolpert. Auf welche Weise sie den Mann befreit hat, wird nicht erklärt und auch ihr plötzlicher Sinneswandel kann frei interpretiert werden. „The alien does not essentially distinguish between his looks and those of her other victims, but there is a crisis, and the alien becomes vulnerable: a potential victim herself.“ Hier kommt wiederum Irigarays Spiegel-Symbolik ins Spiel. Indem die Protagonistin sich selbst im Spiegel wahrnimmt, wird sie sich ihrer Autonomie im Sinne einer physischen Existenz außerhalb ihrer repetitiven Tätigkeit bewusst. Gleichzeitig wirkt die Situation wie ein Schock, offenbart also den prekären Status, die innere Instabilität und Leere der Hauptfigur in ihrer eigenen Wahrnehmung. Dieser Effekt deutet zurück auf die unterstellte Identitätslosigkeit der Frau, die als Objekt und Spiegelfläche männlicher Projektionen dient. Als die Protagonistin ihrer Position gewahr wird, löst sich dieser Prozess auf. Sie entlässt den Mann in die Freiheit und bricht mit ihren bisherigen Handlungsmustern. Das Resultat ist jedoch nicht die Erlangung einer abgeschlossenen eigenen Identität, sondern ein zielloser Ausbruch aus ihrer bisherigen Rolle. In der Folge verlässt die Hauptfigur ihr Fahrzeug mitten auf der Straße in dichtem Nebel. Der Schleier um sie herum repräsentiert ihre Verlorenheit in diesem Moment. Sie versucht ihre Umgebung zu imitieren, was in einem Ausflug in ein Café deutlich wird, wo sie ein Stück Torte bestellt. Bezeichnenderweise kann sie es jedoch nicht essen, was sie selbst vorher nicht gewusst zu haben scheint.

Nach dieser Enttäuschung wandert die Protagonistin ziellos durch die Straßen, bis ein Mann sie an einer Bushaltestelle anspricht und ihr im Bus seine Hilfe anbietet. Er nimmt sie in seine Wohnung mit, ohne Erklärungen zu verlangen. Dies ist eine Umkehr des Schemas, in dem die Hauptfigur – ausgestattet mit einer klaren Aufgabe – Männer in ihre Wohnung entführte. In dem ihr zugewiesenen Gästezimmer betrachtet die Protagonistin ihren nackten Körper minutenlang in einem Spiegel. Auf den ersten Blick deutet nichts auf ihre Andersartigkeit hin, doch die Figur besitzt offenbar keinerlei körperliche Selbstwahrnehmung jenseits des Bildes, das der Spiegel im Wortsinn oder die Spiegelung durch den Blick anderer ihr bietet. In einer Art Umkehr von Lacans Spiegelphase erlebt sich die Protagonistin als motorisch wie koordinativ intakt, sieht aber im Spiegel einen fremden, für sie fragmentarischen Körper, den sie nicht versteht. In ihrem Fall ist es ganz besonders offensichtlich, dass dieses Äußere eine Hülle darstellt, die ein weiteres Äußeres überdeckt, nämlich ihren außerirdischen Körper, der den Zuschauer*innen bisher nicht gezeigt wurde. Die Zersplitterung des Subjekts als identitätsstiftende Einheit findet sich an dieser Stelle physisch illustriert. Die Hauptfigur ist weder identisch mit ihrem menschlichen Antlitz noch ihrer Rolle und ihren Persönlichkeitsmerkmalen, die allesamt bewusst arrangiert und gespielt sind.

Das gilt besonders für ihre Geschlechtsidentität. Obwohl sie äußerlich als erotische Frau definiert wird, entwickelt sie erst in der Wohnung des Mannes eine Ahnung davon, was Geschlecht und Sexualität bedeuten. Ohne dass der Mann sie bedrängt, kommt es in einer Sequenz zu einer körperlichen Annäherung und beinahe zum Geschlechtsverkehr. Plötzlich springt die Protagonistin auf und leuchtet mit einer Stehlampe zwischen ihre Beine. Der Zuschauer*in wird nicht gezeigt, was sie dort findet, doch sie ist derartig verstört, dass sie fluchtartig die Wohnung verlässt. Es ist denkbar, dass sie angesichts des Anblicks ihres eigenen Geschlechts verwirrt ist, da sie bisher lediglich männliche Geschlechtsteile gesehen hat. Ebenso besteht die Möglichkeit, dass sie kein menschliches Geschlecht hat, da ihre Hülle nicht der Fortpflanzung dient. In beiden Fällen deckt sich das Erschrecken der Hauptfigur mit Luce Irigarays Kritik an der psychoanalytischen Auffassung des weiblichen Geschlechts als Leerstelle (Irigaray 1980: 69). Die Protagonistin erschrickt, weil sie etwas sieht, was sie nicht erwartet hat – beziehungsweise aller Wahrscheinlichkeit nach, weil sie etwas nicht sieht. Damit ist wiederum eine Krise verbunden, welche die Psychoanalyse der Frau zuschreibt, die sich als Mängelwesen erkennt.

DIE FRAU IM WALD

Nach der Flucht aus der Wohnung des Mannes begibt sich die sichtlich verstörte Hauptfigur in ein verlassenes Waldstück. An dieser Stelle findet ein weiterer Wechsel der Szenerie statt. Von der Abgeschiedenheit ihres Autos in die Welt der Menschen führt der Weg der Protagonistin nun in ein verlassenes Gebiet, in dem sie weitgehend auf sich selbst gestellt ist. Der Wald steht für etwas Ursprüngliches, Natürliches, Vielfältiges und insbesondere in seinen wilden, undurchdringlichen Teilen für das Andere. Wieder einmal passt der Szenenwechsel zum angenommenen Erleben der Protagonistin und illustriert es. Irigaray selbst geht in einem Interview aus dem Jahr 2013 auf die besondere Verbindung der Frau zur Natur ein. Sie begründet diese Kopplung mit der Sensibilität der Frau gegenüber dem Leben und der Ursprünglichkeit aufgrund ihrer Fähigkeit, Leben zu gebären. Die Hauptfigur wird nun in jenem Raum untergebracht, der den Ursprung von irdischer Fruchtbarkeit repräsentiert. Bäume sind tief in der Erde verwurzelt und spielen auf die tief in ihrem Inneren verborgene und weit verzweigte Identität der Frau an, wie sie Irigaray beschreibt. Gleichzeitig hat der Wald eine mythische und geheimnisvolle Konnotation. Diese spiegelt ebenfalls die Verfassung der Protagonistin wider, deren Verlorenheit umso deutlicher wird, als sie durch ein Terrain stolpert, das sie ebenso schützend wie fremd umschließt. Durch ihr Umherstreunen im Wald wird ihr eine animalische Komponente zugeschrieben. Da sie über kein eindeutiges Selbstbewusstsein, keinen Sinn für Moral verfügt und nach dem Bruch mit dem ihr vorgegebenen Handlungsschema zunehmend instinktiv handelt, ähnelt die Hauptfigur tatsächlich dem kulturellen Konzept eines Tieres. Viel weiter als das Zugeständnis von biologischer Menschlichkeit geht allerdings auch die traditionelle Auffassung von Weiblichkeit nicht, da sie in ihrer Spiegelposition über keine Möglichkeit der Selbstreflexion verfügt und Ratio und Intellekt historisch an den Mann gekoppelt sind. Der einzelne Baum wiederum kann auch als Symbol des „Menschen als Einzelnen und in der Gemeinschaft, des Idealzustands [menschlichen] Daseins und seiner Gefährdung“ (Butzer/ Jacob 2012: 41 – 43) verstanden werden. Im Falle der Protagonistin sind die kommunikativen Aspekte von Menschlichkeit und Intersubjektivität unbekanntes Terrain, nach dem sie sich sehnt und das sie zugleich fürchtet. Sie flieht vor der Gesellschaft, weil sie deren Gefahren kennengelernt hat und sich anders, ausgestoßen fühlt. Interessanterweise ist der Baum sowohl weiblich als auch männlich konnotiert. Seine Wurzeln lassen an Fruchtbarkeit denken, sein Stamm ist jedoch eindeutig ein phallisches Zeichen. Folgerichtig wird die Begegnung von Mann und Frau im Wald in Gestalt eines Arbeiters, der sich mit der Rodung des Waldes befasst, und eines außerirdischen Wesens, ‚verkleidet’ als erotische Frau, zum letzten Wendepunkt des Films.

Auch der Wald kann als männliche Domäne interpretiert werden, wenn man von einer historischen Gebundenheit der Frau an das Haus ausgeht, während der Mann in die Welt hinauszieht. Das männliche Verhältnis zur Natur ist jedoch von gewaltsamem Eindringen und herrschaftlicher Unterwerfung geprägt – man denke an die Kolonisation, die Jagd und die Forstwirtschaft. Eithne Henson zitiert in einer literaturwissenschaftlichen Studie die von den amerikanischen Kolonisatoren verwendete Sprache im Bezug auf Natur, die mit Worten sexueller Gewalt und Unterdrückung durchsetzt ist. Jener Mann im Wald, der die Protagonistin schließlich entdeckt, trägt genau diese aggressiven Züge. Es handelt sich um einen Waldarbeiter, der Bäume markiert und fällt. Die ursprüngliche Natur wird eingenommen, für ökonomische Zwecke gestutzt und schließlich, eingespeist in das kapitalistische System, nach profitorientierten Prinzipien verwaltet. Zunächst erweist sich der Arbeiter der Hauptfigur gegenüber als hilfsbereit. Am Ende kommt es jedoch zu jenem Vergewaltigungsversuch durch den Mann, der die Protagonistin ihre menschliche Hülle und das Leben kostet, da er das fremde Wesen mit Benzin übergießt und anzündet. Die Verbrennung eines angsteinflößenden Anderen erinnert wiederum an die Bestrafung vermeintlicher Hexen oder Ketzer auf dem Scheiterhaufen. Insbesondere im Falle der Hexenprozesse waren beinahe ausschließlich Frauen betroffen. Als Strategie zur Unterdrückung und Vernichtung weiblicher Autonomie können die Hexenverfolgungen als politisches Programm verstanden werden, das Frauen auf brutale Weise an reproduktive Tätigkeiten binden und ihre gesellschaftliche Isolation besiegeln sollte. (Federici 2018) Die kulturhistorische Verbindung Frau – Fruchtbarkeit – Natur ist keine durchweg positive. Obwohl physikalische Prozesse und Eigenschaften der meisten sogenannten natürlichen Phänomene und vieler Lebensformen entschlüsselt sind, bleibt die weitgehend von Menschen unberührte Natur dennoch geheimnisvoll und teilweise unbehaglich, weil sie fremd ist und damit potenziell bedrohlich. Dasselbe gilt für die über ihren eigenen Körper und ihre reproduktiven Fähigkeiten verfügende Frau. Und es gilt für die Protagonistin in Under the Skin als Andere und Außerirdische, der ein Platz in der Welt nur unter sehr eingeschränkten Voraussetzungen eingeräumt wird. Als hinter der menschlichen Fassade schließlich eine fremdartige Gestalt erscheint, ist ihre Karriere im Reich der Menschen beendet. Unklar bleibt, ob das Wesen auf dem Waldboden der Haut hinterhertrauert, die es in den Händen hält.

LITERATUR

Butzer, Günter/ Jacob, Joachim: Metzler Lexikon literarischer Symbole, Stuttgart 2012.

Derrida, Jacques: „Die Struktur, das Zeichen und das Spiel im Diskurs der Wissenschaften vom Menschen“, in: Ders.: Die Schrift und die Differenz, Frankfurt am Main 1976, S. 422-442.

Ders.: Grammatologie, Frankfurt am Main 1983.

Federici, Silvia: Caliban und die Hexe. Frauen, der Körper und die ursprüngliche Akkumulation, Wien/ Berlin 2018.

Henson, Eithne: Landscape and gender in the novels of Charlotte Brontë, George Eliot and Thomas Hardy: the body of nature, Farnham 2011.

Irigaray, Luce: Speculum. Spiegel des anderen Geschlechts, Frankfurt am Main 1980.